Das Neue braucht Freunde

Begegnen Sie einem leidenschaftlichen Verfechter von Duft als Kunst, der seinen einsamen „Richter-Job“ mitsamt der spitzen Feder an den Nagel gehängt hat. Um wie sein „Alter Ego“ aus dem Trickfilm „Ratatouille“, Anton Ego, mit warmer Stimme zu verkünden: „Die Welt reagiert oft ungnädig auf neue Talente, neue Kreationen. Das Neue braucht Freunde.“

TFFA: Glauben Sie wirklich, dass Thierry Mugler Cologne ein so großes Kunstwerk ist wie Turners Gemälde „Calais Pier“ oder die „Préludes“ von Chopin?

Chandler Burr:  Ebenso groß? Habe ich das wirklich so gesagt? Ich denke, es ist ein Meisterwerk. Es ist außergewöhnlich. Alberto Morillas, der Künstler, der es für seine Auftraggeber und Kreativ-Direktoren Mugler und Véra Strübi erschaffen hat, ist einer der erfolgreichsten und talentiertesten Duftkünstler von heute. Bei der Frage nach dem „so bedeutend wie“ geht es meiner Meinung nach um den Grad von Einfluss. Hat Mugler Cologne, kreiert 2001, eine ebenso starke Auswirkung auf die Werke der Duftkunst besessen wie Chopins Préludes es auf die Welt der Musik hatten? Ich denke, das hat es nicht, oder, hat es noch nicht. Und genau das will ich ändern.

TFFA: Warum glauben Sie, dass es wichtig ist, Duft als Kunst anzuerkennen?

Chandler Burr:  Aus demselben Grund, warum es wichtig ist, Keramik und Architektur als Kunst anzuerkennen.

TFFA: Bilder sind Bilder. Es gibt immer nur eins davon. Von Parfums werden Millionen von Flaschen produziert. Kann das Kunst sein?

Chandler Burr:  Von Kinofilmen und Photographien gibt es Millionen von Kopien. Das ist meine Antwort.

TFFA: Als Duft-Kritiker der New York Times sind Sie weltweit bekannt geworden. Inwiefern besitzt Ihre Arbeit als Kurator Parallelen zu Ihrer journalistischen Tätigkeit?  

Chandler Burr: Schon mein Job als der Parfum-Kritiker der New York Times an sich positionierte Duft als Kunst. Seine schiere Existenz beruhte auf der Annahme, dass Pleasures von Estée Lauder, Eau Sauvage von Dior und Terre d‘Hermès Kunstwerke sind. Wenn das nun wahr war, dann verlangte auch dieses Medium, einem ebenso ernsthaften, intelligenten Instrumentarium der Kritik unterworfen zu werden wie jede andere Kunstgattung. Nach meinen Jahren bei der New York Times war das DOA@MAD im Grunde genommen der logische nächste Schritt: Wenn Du Kunstwerke hast, aber keine Museums-Abteilung, die sie ausstellt – dann kreiere eine. Erschaffe einen Ort, an dem diese Kunst gezeigt wird.

TFFA: Die Unterschiede zwischen Kritiker- und Kurator-Job?

Chandler Burr: Sie unterscheiden sich gewaltig, sind einander sogar aus vielen Gründen diametral entgegengesetzt. Einer dieser Gründe hat dazu geführt, dass ich die Times sofort verließ, als wir unsere Entscheidung, das DOA einzurichten, finalisierten. Er heißt: Interessenskonflikt. Bei der Times war ich Times-Kritiker und die Times verlangt einen Grad von Lauterkeit und Unabhängigkeit, der bewundernswert ist, den Job allerdings zu einem sehr einsamen macht. Die Leser der Times liebten meine negativen Kolumnen – was ziemlich irritierend ist, weil sie die positiven nicht so sehr mochten, sie weniger spannend fanden. Ich hingegen liebte es am meisten, die besten Bewertungen – vier und fünf Sterne – zu schreiben. Als ich den Film „Ratatouille“ sah, einer der Drehbuchautoren ist meine Freundin Kathy Greenberg, war ich völlig verblüfft, als ich am Ende die Kolumne des Restaurantkritikers Anton Ego hörte. Sie fasst wunderschön zusammen, wie ich mich als Kritiker fühlte (sh unten).

TFFA: Ja, das Neue braucht Freunde …

Chandler Burr:: … und Kuratoren sind schon von der Definition her Freunde, wenn dies auch nicht die übliche Übersetzung von Kurator (aus dem Lateinischen: curare, sich sorgen um, etwas pflegen, Anm. d. Red.) sein mag. Wir sind professionelle, unabhängige, aber begeisterte Freunde der Kunst und der Künstler, die wir bewundern. Und es ist in der Tat unsere Aufgabe, uns für diese Kunst und diese Künstler einzusetzen. In erster Linie durch traditionelle Ausstellung im Galerie-Bereich – das tat ich am DOA. Meine Aufgabe war es, ihre Werke zu zeigen, zu erklären, warum ich glaube, dass sie großartig sind, was sie bedeuten – und wie sie tun, was sie tun.

TFFA: Die Leser der New York Times liebten ihre negativen Kritiken am meisten, sagen Sie …

Chandler Burr:  Als Kritiker der Times habe ich über Düfte negativ geschrieben. Für einen Kurator macht das keinen Sinn. Ein Kurator existiert nicht, um die Zeit des Museumsbesuchers mit Werken zu verschwenden, die er für Mist hält. Er ist dafür da, um die beste Arbeit auf die unterhaltsamste und einfühlsamste Art und Weise zu zeigen. Als Kritiker der Times habe ich positiv geschrieben, für meine Kolumne; als DOA-Kurator schrieb ich das auf die Museumswände, in die Kataloge, die Duftkunst in Form von 10ml-Phiolen enthielten, und ich sprach es in die Audio-Guides.

TFFA: Im Juni 2012 eröffnete das Department of Olfactory Art mit seiner ersten Ausstellung seine Pforten.
 
Chandler Burr:  Die Kunst bestand im Aufbau der Schau als Ganzes, nicht im Fokussieren auf einzelne Werke. Die Ausstellung sollte das Medium selbst, nicht einzelne Werke, in der Geschichte der Kunst von 1889 bis heute verankern. Natürlich musste jedes Werk ästhetisch signifikant sein. Sie mussten überlegenes technisches Geschick auf Seiten des Künstlers repräsentieren und/oder innovatives Design zeigen. Ich begann mit Aimé Guerlains „Jicky“ von 1889. Es ist ein wundervoll konstruiertes Werk der neo-klassischen Jahrhundertwende-Romantik und wohl das erste Duft-Kunstwerk überhaupt. „Jicky“ ist das erste Parfum, das zum Teil aus synthetischen Rohstoffen gemacht ist – sie sind es, die das Medium von der Natur befreit, es von einem Handwerk in Kunst verwandelt haben.

Über Chandler Burr: Chandler Burr ist Journalist, Autor und Gastgeber von „Scent Dinners“, die er mit Star-Köchen wie Léa Linster oder Fabio Trabocchi veranstaltet. Von 2006 bis 2010 Duft-Kritiker der New York Times und bis 2012 Kurator des Department of Olfactory Art am MAD in New York, ist er heute begehrter Stargast bei Duft-Events rund um die Welt. Mehr zu Chandler Burr auf: chandlerburr.com

BUSSE
Chandler Burr, Duft-Autor, -Ausstellungsmacher und -Speaker lebt in Los Angeles

 

Das Parfum der Nischenmarke BYREDO, Mister Marvelous, ist für Burr ebenso ausbalanciert wie ein

Mobile von Alexander Calder

Fotos: BYREDO; Ethan Leak House

 

Musik pur: Mugler Cologne und Chopin


Fotos: Archiv; Thierry Mugler

 

Aimé Guerlain und sein Kunstwerk Jicky

     
Fotos: Guerlain

 

Die Arbeit des Kritikers ist in vieler Hinsicht eine leichte. Wir riskieren sehr wenig und erfreuen uns dennoch einer Überlegenheit gegenüber jenen, die ihr Werk und sich selbst unserem Urteil überantworten. Am dankbarsten sind negative Kritiken, da Sie amüsant
zu schreiben und auch zu lesen sind. Aber wir Kritiker müssen uns der bitteren Wahrheit stellen, dass, im Großen und Ganzen betrachtet, das gewöhnliche Durchschnittsprodukt wohl immer noch bedeutungsvoller ist als unsere Kritik, die es als solches bezeichnet. Doch
es gibt auch Zeiten, da ein Kritiker tatsächlich etwas riskiert, wenn es um die Entdeckung und Verteidigung von Neuem geht. Die Welt reagiert oft ungnädig auf neue Talente, neue Kreationen. Das Neue braucht Freunde…“ Anton Ego in Ratatouille.

 

Zur Verfügung gestellt von Duftexpertin Eva Syndram, Verlegerin, Chefredakteurin und Inhaberin von „hautnah, das schöne fachmagazin“.

 

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